Es ist nur Autismus VI – Eltern können dazulernen

So einfach
und doch
so schwer.

Hier im Blog habe ich schon öfter beschrieben, wie lange wir für die Diagnosefindung bei den Kindern gebraucht haben.

Nach April 2010, als die Diagnose beim Ältesten dann endlich stand, habe ich begonnen mich eingehender damit zu beschäftigen, was Autismus eigentlich heißt.

Ich hatte ja immer noch dasselbe Kind vor mir, dass mir so nah war und ist, wie vor der Diagnose.

Nur die Merkwürdigkeiten, an denen sich die Umwelt dauernd gestoßen hatte, hatten nun einen Namen.

Also las ich (bekennender Vielleser) alles, was ich in die Finger bekommen konnte.
Schließlich verband ich mit Autismus all die Klischees, mit denen Menschen so in Kontakt kommen und die sie nebenbei mal in den Medien aufschnappen.

Ich landete in einem Elternforum, las Fachbücher von ausgewiesenen Fachleuten, beschäftigte mich mit Institutionen die sich dafür einsetzen Aufklärung über Autismus nach vorne zu bringen und dachte WOW, da gibt es ja schon einiges.
Im Elternforum wurde ich freundlich aufgenommen, stellte aber schnell fest, dass es dort unterschiedliche Gruppen gab.
Da waren die Eltern der Aspies Asperger Autisten, die der frühkindlichen Autisten und vereinzelte AutistInnen.
Zwischen den Elterngruppen gab es immer wieder Konflikte, es war eine Art von Konkurrenzkampf, wer es schlimmer hätte. Und gerade den Eltern von milder betroffenen (zum milden Autismus und warum es Blödsinn ist, gibt es unter anderem Texte von Aleksander Knauerhase und der Bloggerin Butterblumenland) Asperger Autisten wurde immer unterstellt, dass sie das Leid und die Anstrengungen der anderen Eltern sich nicht vorstellen könnten.
Auch AutistInnen wurden zT angegangen, dass sie das Leid herab spielen würden, weil sie ja schließlich die Fähigkeit hätten zu kommunzieren.
Später fand ich Blogs.
Am informativsten waren die Blogs von AutistInnen, diese fand ich allerdings erst später, wurden sie doch nur selten im Elternforum verlinkt.

Das erste Jahr nach Diagnosestellung war geprägt davon, dass wir alles versuchten unseren Sohn in der Schule zu halten und ihn gleichzeitig aus der Mobbingspirale zu befreien.
Es war ein Spießroutenlauf begleitet von Strohhalmen, von denen wir uns Hilfe versprachen.

Es war alles andere als leicht und hat uns alle geschädigt. Vor allem der Klinikaufenthalt war sehr hart für uns alle.

Bei einigen Dingen habe ich erst im nachhinein verstanden, dass es keine Hilfen waren.

Da war zB die Stiftung, die zu einer Aufklärungsstunde in die neue Schule ging.
Ein Mitarbeiter der Stiftung war mal eine Stunde bei uns um unseren Sohn kennenzulernen (ein viel zu kurzer Zeitraum, aber nicht anders zu bewerkstelligen, schließlich kostet Zeit immer Geld). Dieser Mitarbeiter machte sich einige Notizen und reichte die an andere Mitarbeiter weiter, denn er selber ging nicht in die Schule.
Der Enkel der Stiftungsgründer ging damals mit in die Schule.
Es ist ein nonverbaler Autist.

Ich fand das damals gut.

Aber was wusste ich damals schon. Nach heutigem Kenntnisstand viel zu wenig um einschätzen zu können, wie solch eine Aufklärung funktionieren könnte und wie 14jährige das aufnehmen werden.

Erst Jahre später hat ein damaliger Mitschüler meinem Sohn etwas über diese Aufklärung und seine Eindrücke erzählt.

Wir hatten die Jugendlichen erfolgreich verschreckt.

Aber mit dem Kenntnisstand von damals war ich begeistert, dass es diese Möglichkeit der Aufklärung überhaupt gab.
Ich war damals schon davon überzeugt, dass nur AutistInnen über Autismus aufklären können.

Was genau passierte also in dieser Aufklärungsstunde.
Es gab Handschuhe, die von innen sehr rau waren und gleichzeitig sehr dick um zu verdeutlichen, dass AutistInnen eine andere Wahrnehmung bezüglich Haptik haben können.
Es gab eine Art Brillen, um die Möglichkeit der anderen Wahrnehmung bzgl. Sehen darzustellen und noch einiges mehr.
Leider war wohl keine Zeit, um etwas ähnliches wie dieses Video in der Klasse vorführen zu können

Das finde ich im übrigen sehr gut, obwohl auch dieses nur einen kleinen Überblick gewährt. Wie man an diesem Video sehen kann.

Beide Videos sind nur Beispiele.

Das war mir damals nicht in Gänze bewusst und es wird leider auch nur selten von NichtautistInnen, die für Organisationen Aufklärung in Schulen durchführen so benannt.

Eine spätere Aufklärung in einer anderen Klasse durch eine Autistin hatte diesen Effekt nicht.
Sie machte klar darauf aufmerksam, dass es trotz gleicher Diagnose erhebliche Unterschiede geben kann.
Sie schaffte, was die Stiftung nicht hinbekam.
Es gab endlich Akzeptanz für meine Tochter. Das Mobbing konnte durchbrochen werden. Es wurden Fragen gestellt, auch an meine Tochter. Aber dies immer annehemend und wertschätzend.

Nehmen wir mal die Handschuhe als Beispiel.
Ich habe vier autistische Kinder. Jedes Kind hat andere Dinge, die es nicht anfassen oder auf der Haut ertragen kann.
So fühlt sich für unseren Jüngsten Creme oder Lippenpflege wie Wachs auf der Haut an.
Den Ältesten machen Schildchen in der Wäsche absolut verrückt.
Diese stören aber den Jüngsten überhaupt nicht, dafür kann er diese in Krägen eingearbeiteten Kapuzen (die man einrollen kann) im Nacken nicht ertragen. Er muss auch die ausgerollte Kapuze immer anziehen, weil er das störende Gefühl, dass da was zu viel ist im Rücken, nicht aushalten kann.

Die Kleine ist absolut berührungsempfindlich. Wasser aus der Dusche fühlt sich für sie wie Nadelstiche an und Haare waschen und kämmen waren ein ewiger Kampf, weil es ihr Schmerzen bereitete. Auch Zähneputzen hat diesen Effekt.

Es hat länger gebraucht, bis wir für die einzelnen Punkte des jeweiligen Kindes Lösungen gefunden haben. Die Lösung für den einen wäre beim anderen aber zum Worstcase geworden.

Es gibt schlicht keine Lösung, die auf jedes Kind passt. Selbst in unserer Familie nicht. Es gibt immer nur Ähnlichkeiten. Das führte hier auch schon zu Auseinandersetzungen zwischen den Kindern, weil der eine sich nicht vorstellen konnte, wie es sich für den anderen anfühlt.

Ich musste das lernen.
Lernen, wo die Konflikte herkommen.
Lernen, dass eine 08/15 Aufklärung dem jeweiligen Autisten nicht gerecht wird.

Was mich zu der unseligen Autismuskabine bringt. Rainer beschreibt es gut

Klar, das was das „simuliert“ wird sind auch nur Metaphern.

Nun hat er einen autistischen Sohn und somit auch Vorwissen.
Aber besitzen das die anderen Besucher auch?

 

Das Thema Medikamente ist uns ebenfalls nicht fremd.
Zwei meiner Kinder haben die Zusatzausstattung ADHS.
Hier hilft Ritalin. Aber das richtige Medikament in der passenden Zusammenstellung zu finden war schon knifflig.

Mein Ältester hat nur Autismus. Er bekam aber, da er sich einem Daueroverload befand, ebenfalls über einen Zeitraum X Medikamente.
Alle waren mit seinen Reaktionen auf Kleinigkeiten überfordert.
Ich erwartete mir Hilfe und Beruhigung der Situation.

Die Rückmeldungen Jahre später zeigen aber, dass es nicht das Medikament war, was Hilfe brachte, sondern die Möglichkeit endlich zur Ruhe zu kommen.

Was wir Außenstehenden als unerträglich erlebten, muss sich in meinem Sohn noch viel schlimmer dargestellt haben.

Ich lernte.
Lernte, dass selbst Psychiater sich nur auf das äußerlich sichtbare Symptom stürzten.

Ebenso war es mit der Tagesgruppe.

Ich lernte.
Lernte, dass die Außenbetrachtung alleine nicht hilfreich ist.
Lernte, dass viele Außenstehende kein Verständnis über und von Autismus besitzen.

Autismus ist nicht in fünf Minuten erklärt.

Das nächste Thema, Schulbegleitung.
Wir hatten sehr gute und sehr schlechte.
Es gab welche mit Zertifikat aus einem Webinar oder aus längeren Schulungen verteilt über mehrere Wochenenden.

Ich lernte.
Lernte, dass nicht jede Qualifikation das Papier wert ist, auf dem sie steht.
Lernte, dass man verdammt noch mal sehr genau hinschauen muss, was einem da präsentiert wird.

Während der Zeit, als wir nach einer Schule suchten, habe ich unzählbar viele Webseiten angesehen und Gespräche geführt.
Der Eindruck, dass die meisten nur Hochglanzprospekte sind und es wenig echte Kenntnis über Autismus gibt, ist nicht weniger geworden.

Ich lernte.
Lernte, dass ich alles, wirklich alles hinterfragen muss.

 

Und dann fand ich AutistInnen, die in Foren, Blogs, auf Facebook und Twitter und vielen anderen Plattformen sich einer Sisyphosarbeit stellen.
Die sich die Zeit nehmen:

  • Fragen zu beantworten
  • Fragen zu stellen
  • die über das eigene Empfinden als Beispiel berichten und auf Empfindungen anderer Autisten verweisen, weil sie nicht behaupten, dass nur ihre Empfinden die korrekte Art von Empfinden bei Autismus ist
  • für ihre Rechte einzustehen
  • die Klischeedenken angreifen
  • die auch mal Fachleuten widersprechen, weil deren Darstellung dem Empfinden vieler AutistInnen nicht entspricht

Sie stehen für Selbstvertretung ein.

Ich lernte.
Lernte viel über Autismus und die unterschiedlichen Ausprägungen.
Lernte, dass die Übergänge fließend sind und sich Kanner und Asperger Autisten nicht als unterschiedliche Störungsbilder differenzieren lassen. Dem trägt der DSM-V insoweit Rechnung, dass es dort jetzt AutismusSpektrumStörung heißt.

Was ich aber auch lernte, dass es immer wieder Menschen gibt, die AutistInnen das Recht auf Selbstvertretung absprechen oder ihre Argumente gegen sie verwenden bzw. diese zu invalidieren versuchen.
Diese Menschen reden von einem Miteinander, beanspruchen aber gleichzeitig die Deutungshoheit darüber was dieses Miteinander ausmachen darf. Nach meinem persönlichen Eindruck gebrauchen diese Menschen AutistInnen als schmückende Zier. Hier habe ich das schonmal näher beleuchtet.

Was bleibt?

Lernen!

Genau hinschauen.

Lernen!

Und für mich persönlich bedeutet es, sich nicht der Selbstvertretung von AutistInnen in den Weg zu stellen. Auch dazu habe ich schonmal etwas geschrieben.
Denn ich möchte, dass meine autistischen Kinder ihre Stimme erheben können ohne von NichtautistInnen benutzt zu werden. Das sie ernst genommen werden und ihre Erfahrungswerte wertgeschätzt werden.

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