Aus autistischen Kindern werden autistische Erwachsene

Wenn Eltern die Diagnose Autismus für ihr Kind erhalten haben sie oft schon einen langen Weg hinter sich gebracht. Und meist erhalten sie aus der diagnostizierenden Praxis wenig bis keine Hilfen.

Nun haben sie zwar eine Erklärung für das „Anderssein“ ihres Kindes aber das löst die akuten Probleme nicht. Dadurch verändern sich die Anforderungen im Kindergarten und in der Schule nicht. Die Erzieher, Betreuer und Lehrer haben eventuell schon mal davon gehört, können sich aber nur wenig darunter vorstellen.

Also begeben sich die Eltern auf die Suche nach weitergehender Hilfe und Informationen.

Oft landen sie im Internet in Elternforen oder auf den Seiten von Selbshilfegruppen. Das war zumindest mein Weg vor 7 Jahren. Auch die Seite des Bundesverbandes Autismus Deutschland habe ich sehr interessiert studiert.

Dort bekommt man wichtige Informationen was man für das Kind beantragen kann, rechtliche Hinweise, Urteile und vieles mehr.
Einige Regionalverbände haben auch Autismustherapiezentren, kurz ATZ, gegründet. Es ist sehr wichtig, dass man dort diese Informationen finden kann – unbestritten. Selbstverständlich brauchen Eltern Orte, wo sie sich über die aktuelle Situation vor Ort austauschen können und spezielle Probleme mit Behörden und/oder Sachbearbeitern besprechen können.

Was man als Eltern allerdings erst viel später wirklich sieht, dort sind nur ganz wenige AutistInnen beteiligt.

Alles, was dort an Wissen über Autismus vermittelt wird, betrifft immer nur die Außensicht. Nur in ganz wenigen Fällen hat man das Glück, sich auf diesen Portalen oder in SHG’s mit AutistInnen austauschen zu können und etwas über die Innensicht erfahren zu können. Dabei ist diese entscheidend. Es ist schlicht bereichernd und erhellend AutistInnen zuzuhören. Auch lernt es sich leichter, was Barrierefreiheit und Inklusion bedeutet, wenn wir Eltern es selber leben und Teilhabe ermöglichen.

Solange man nur Berichte und Empfehlungen, die auf der Außensicht beruhen, bekommt bzw. findet; ist es für Eltern sehr schwierig den Autismus des Kindes in Gänze anzunehmen

Das Kind ist autistisch und wird es immer sein
es wird auch als erwachsener Mensch immer Autist/Autistin sein

Und egal, wie sehr Eltern / Lehrer / Therapeuten auch versuchen, daran zu arbeiten, am Fakt Autismus ändert das nichts.

Eltern brauchen Ratgeber, auch abseits von der Außensicht. Sie brauchen den Austausch mit anderen Eltern, die rechtlichen Ratgeber und auch die Innensicht der AutistInnen. Wie die Bloggerin Innerwelt in diesem Beitrag richtig festgestellt hat

„… Immer wieder habe ich auch darauf hingewiesen, dass man Autisten nicht rein nach der Aussenwirkung beurteilen darf. Oder aber auch nicht rein nach der Innensicht.Mir ist klar, dass es für manche von aussen sehr schwer ist. Sie haben ja nur diese. Allerdings machen sich viele da auch nicht die Mühe, den Autisten zuzuhören, die von ihrer Innensicht berichten. Aber das allein reicht eben nicht aus. Vielmehr wäre ein Zusammenspiel von Innensicht und Aussensicht nötig, um genau urteilen zu können. Dazu müsste man einen Menschen aber sehr gut kennen und die Gelegenheit haben, ihn in diversen Situationen beobachten zu können und dazu das Glück, die Innensicht zu kennen. Diese Gelegenheit ist nur selten der Fall, oftmals haben gerade Eltern oder Partner von Autisten diese Sicht, die ich ja gerade deswegen für so wichtig halte. Es ist eine besondere Sicht und mit ein Grund, warum ich entgegen meiner Abneigung im Mittelpunkt zu stehen, entschieden habe, Vorträge zu halten oder mich auch in der Öffentlichkeit zu zeigen.
Nur so kann man beide Seiten von mir sehen und dann würde man vielleicht besser verstehen, wie unterschiedlich sie sein können…“

Eltern und Menschen die mit AutistInnen arbeiten brauchen Informationen aus erster Hand. Dies werden sie aber in Foren und bei den meisten SHG’s und im Bundesverband in dieser Komplexität und nur sehr selten finden. AutistInnen erscheinen mir stark unterrepräsidentiert.

Warum?

Ich habe oft das Argument gehört, dass AutistInnen sich dieser anstrengenden Arbeit nicht stellen möchten. Oder das man sie schonen möchten. Dass sie die Öffentlichkeit scheuen und durch den Alltag schon so massiv belastet sind, dass sie (wenn überhaupt) lieber im Hintergrund bleiben möchten.

Ist das wirklich so?

Oder ist das nur ein  „argumentum ad hominem“ ?

Oder haben einige der Eltern, die sich in SHG’s, Vereinen und im Bundesverband engagieren schlicht das wichtigste vergessen:

aus ihren autistischen Kindern werden autistische Erwachsene!

Unsere vornehmste Aufgabe als Eltern ist es, die Kinder zu selbstständigen Menschen zu erziehen, die für sich selber einstehen können.

Dies gilt auch für unsere autistischen Kinder!

Aber

werden unsere autistischen Kinder in den jetztigen Strukturen überhaupt jemals eine eigene Stimme erhalten oder wird es ihnen ergehen, wie den heutigen erwachsenen AutistInnen. Dass man ihnen ihre Meinung und ihre Gedanken abspricht und sie als uninformiert darstellt und vor ihnen warnt? Ihr glaubt nicht, dass es so etwas gibt?
Hier entlang bitte.

Das was dort beschrieben ist, ist kein Einzelfall, oft wird bei Studien oder Organisationen nur

so etwas gesucht, um dem ganzen den „Anstrich“ von, „wir nehmen AutistInnen wahr und sie dürfen dabei sein“ zu geben.

Ist es das, was wir Eltern uns für unsere Kinder wirklich wünschen?

Ist unsere Sichtweise auf unsere Kinder so defizitär, dass wir uns nicht vorstellen können, dass sie sich selber vertreten können und sollen?

Meine Sichtweise ist das nicht!

Das, was ich über Autismus weiß habe ich durch AutistInnen gelernt. Ihnen vertraue ich mehr, als jedem Experten, wenn es darum geht Strategien für den Alltag zu entwickeln und sich über Therapien auszutauschen.

Was mir bei den Elternverbänden in den letzten Wochen vermehrt unangenehm aufgefallen ist, nur ganz wenige positionieren sich und vertreten eine klare Haltung. Gerade im Engagement gegen ABA und die in Deutschland auftretenden Vertreter dieser Therapie-Methode hat sich schnell die „Spreu vom Weizen“ (RW) getrennt. Ist es wirklich Unwissen oder doch die Resthoffnung auf „Heilung“. Was treibt den Bundesverband an, sich hier nicht eindeutig zu positionieren. Wird auch hier mehr den „Fach“Leuten vertraut und ist ihnen der Autismus tief im Herzen immer noch unheimlich?

Es ist mir wichtig, dass AutistInnen in der Selbstvertretung Gehör bekommen. Dass sie in Verbänden und Vereinen präsent sind. Das muss nicht zwingend räumlich sein, das Internet bietet hier gute Möglichkeiten Barrieren zu beseitigen.

Wenn ich etwas über Autismus wissen will und was meinen autistischen Kindern helfen kann, frage ich AutistInnen. Denn diese waren autistische Kinder.

Sie kennen die Probleme aus dem eigenen Erleben.
Sie bieten keine schnellen Lösungen sondern regen mit ihren Aussagen zum Nachdenken an.
Manche Probleme lösen sich wenn wir Eltern Dinge und Erwartungen verändern.
Wir Eltern können unsere Kinder nicht zu neurotypischen Menschen umpolen/erziehen, egal was wir anstellen. Also tun wir gut daran, den Erfahrungsschatz erwachsener AutistInnen zu nutzen und darüber die genormte Gesellschaft etwas zu verändern, um unseren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen.

Wenn wir für unsere Kinder etwas verändern möchten, dann müssen wir

  • AutistInnen zuhören
  • sie einbeziehen in alle wichtigen Gremien
  • uns zurückziehen und uns nicht vor AutistInnen stellen

Es steht uns schlicht nicht zu, AutistInnen auszuschließen oder sie zu bevormunden.

Autismus ist kein Weltuntergang!

6 Kommentare zu „Aus autistischen Kindern werden autistische Erwachsene“

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