Hochglanzprospekte

Ich kann sie nicht mehr sehen, diese Websites, die vorgaukeln wie toll dort für das Kind gesorgt wird. Wie engagiert das Team ist, was für tolle Methoden angewendet werden. Die Schule, die das NonPlusUltra für das Kind bietet. Alles „hübsch“ evaluiert und am besten evidenzbasiert.

Wirklich, ich bekomme Brechreiz davon.

Es fängt schon mit der Suche nach dem passenden Kindergarten an. hübsche Bilder, lachende Kinder, das Team, ein Traum.
Und auch Schulen präsentieren sich, als ob sie ein Produkt vermarkten wollen. Am besten noch gespickt mit Ergebnissen von Qualitätsanalysen. Diese sagen aber nichts über den Krankenstand der Mitarbeiter aus. Es wird mit Projekten geworben, die die Schule mal gestartet hat und mit Partnerschaften zu Gottweißwem.

Im Bereich der Inklusion wird es dann besonders „interessant“. Es werden Methoden erwähnt, die in den Alltag integriert werden. Woher das Wissen über diese kommt wird am Rande erwähnt. Aber nicht, wie lange die Mitarbeiter dazu Schulungen erhalten haben. Ob es nur ein Wochenendseminar mit maximal 12 Stunden war, oder es fundierte Ausbildungen waren.
Für verhaltensauffällige Kinder,  ADHS’ler oder AutistInnen gibt es noch besondere Einrichtungen, wo diese entweder den ganzen Tag (Tagesgruppe) oder die ganze Woche oder über Monate (Internat) Vollzeit betreut werden. Dass dort Therapien in den Alltag eingebunden werden und das Kind den ganzen Tag die Möglichkeit hat sich in sozialen Fertigkeiten zu üben. Und auch hier, es wird nicht gesagt, wie die Fähigkeiten erworben wurden, die Therapien anzuwenden und wie viel Supervision es gibt.
Auch Berufsbildungswerke sind hier sehr bemüht einen guten Eindruck zu hinterlassen, oder Wohngruppen für erwachsene AutistInnen.
Allen ist gemein dass sie mit bonbonbunten Bildern und wohlfeilen Worten ihre Einrichtung bewerben.

Ich habe gelernt, diese wie Hotelprospekte zu lesen. Weil ich erfahren musste, dass es eben nur Werbung ist. Nichts weiter.

Es wäre schön, wenn man einzelne Satzbausteine die immer wieder kehren, übersetzen könnte um sich einige Illusionen zu ersparen.

Ein gutes Beispiel dafür habe ich heute morgen gelesen.

Schnuppern (zum Welt-DS-Tag)

Die Mutter ist glücklich, denn es ist eine inklusive Einrichtung.
Schon einige Kinder mit Down-Syndrom waren dort.
Fotos von ihnen hängen eingerahmt im Flur. Lachende lustige Kinder.
…………
„Wir haben uns hier eigentlich bei der Inklusion auf Kinder mit Down-Syndrom spezialisiert“, sagt die Erzieherin, „weil die immer so reizend sind. Aber ich spreche mal mit dem Team.  Vielleicht können wir bei Ihrer Tochter auch mal eine Ausnahme machen.“

(Auf diesem Blog gibt es übrigens sehr viele Beispiele dazu, wie Inklusion nicht sein sollte und was man als Eltern so zu hören bekommt. Er heißt nicht ohne Grund „Zwischen Inklusion und Nixklusion“ !)

Aus dem Bereich der Tagesgruppe ist mir persönlich dieser Satz

„Wir bieten dem Kind/Jugendlichen eine Reihe von sozialen Aktivitäten aber auch die Möglichkeit der Ruhezeiten in gesonderten Räumen.“

im Gedächtnis hängengeblieben.

Das heißt übersetzt:

Das Kind, der Jugendliche ist direkt nach der Schule in ein festes und starres Regelwerk eingebunden, folgt den täglichen Terminen und wenn es nicht mehr kann wird es zum beruhigen in einen „Ruheraum“ verbracht.

Oder Methoden, die das Personal über Schulungen erlernt hat, waren wirklich nur Wochenendseminare, wo theoretisches Basiswissen über die Methode vermittelt wurde. Anhand von Schaubildern und Arbeitsblättern wird, ohne jemals mit einem Kind/Jugendlichen zu arbeiten, „trainiert“ wie man Methode XYZ beim Störungsbild ABC anwendet. Nach wenigen Stunden kann sich dann auch eine Bürokauffrau, einen Heizungsinstallateur oder oder oder „Fachkraft“ mit dem Titel Blablabla schmücken und wird ab jetzt ernster genommen, als die Eltern die ihr Kind schon lange kennen.

Nach solch einer Schulung sind die Kräfte auf einmal so „qualifiziert“, dass Urteil oder die Einschätzung der Eltern vor Ämtern in Zweifel zu ziehen. Und z.B. Jugendämter (die gerade bei Autismus und ADHS selber nicht zwingend fit sind) schließen sich dann dieser Meinung an.

Auch bei Schulbegleitungen bzw. Anbietern, die Schulbegleitungen stellen, kann einem so etwas begegnen.
Leider sind mir auch im Bereich Autismus schon solch „zertifizierte Fachkräfte“ untergekommen.

Es wird dann nicht mehr hinterfragt, WO die Ausbildung bzw. Kurzschulung stattfand. oder über welchen Zeitraum diese stattfand und ob „am/mit lebenden Objekt“, also einem z.B. autistischen Kind gearbeitet wurde, ob Supervision und Korrektur falscher Anwendung stattfand und so weiter und so fort.
Am Schluss zählt nur noch der Titel. Dieser suggeriert, dass Wissen, Verständnis und Einschätzungsvermögen vorhanden ist.

Ich würde hier gerne eine Sammlung von wiederkehrenden Sätzen, die auf solchen Homepages immer wieder zu lesen sind, einrichten, wo Ihr Eure Erfahrungen bzw. Übersetzungen dazu gebt. Damit auch Eltern, die gerade frisch mit einer Diagnose aus dem Autismus oder ADHS bzw. „nur“ verhaltensauffällig für ihr Kind konfrontiert wurden, schneller in die Lage versetzt werden die Hochglanzprospekte der Wohlfahrtsindustrie kritisch lesen zu können.

Denn darum geht es, das kritische Hinterfragen von Allgemeinplätzen, die Eltern auf solchen Homepages finden. Um bei dem Beispiel Hotelprospekte zu bleiben, hier gibt es Ratgeber en Masse, die es erleichtern diese zu lesen. Das war zwingend notwendig und hat dem Verbraucher ermöglicht, Hotelwerbung kritisch zu lesen und sich nicht von bunten Bildchen sowie wohlfeilen Aussagen blenden zu lassen.

Ungleich wichtiger ist es, einen kritischen Blick, offene Augen und Ohren zu entwickeln, wenn man ein Kind in Obhut anderer gibt um es gut zu begleiten, Stichwort Fürsorgepflicht. Unsere Aufmerksamkeit ist hier stark gefordert. Wir müssen, dürfen und sollen unbedingt die Qualifikationen von Einrichtungen und deren Mitarbeitern hinterfragen. Auch um Therapiemethoden die nur umschrieben sind besser zu erkennen und einordnen zu können. Auch Schulungsorte und Veranstalter von Schulungen einordnen zu können ist wichtig.

Wir Eltern müssen uns diese Kompetenz erarbeiten und unseren Erfahrungsschatz teilen.
Nicht dass wir uns falsch verstehen, es geht nicht darum, irgendwelche Einrichtungen zu bashen. Dass werde ich hier auch nicht dulden!

Ich bin gespannt auf Eure Erfahrungsberichte.

2 Kommentare zu „Hochglanzprospekte“

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