Im deutschsprachigen Raum laufen derzeit Forschungen zu Autismus, die mich schaudern lassen.
Die beliebtesten Schlagworte in den Forschungsbeschreibungen heißen
Krankheit – Krankheitswert – Kosten/Nutzenrechnung – Ökonomie
Die einen streiten darüber, ob die derzeitigen Diagnosestandards zu weit gefasst sind, andere wollen über die Studien Therapien festschreiben.
Was mir und vielen anderen fehlt sind Studien, die beschreiben was AutistInnen hilft, wie ihr Schulplatz, ihre Ausbildungsstelle und ihr Arbeitsplatz barrierearm gestaltet werden kann und was ihnen hilft produktiv zu sein.
Im Gegenteil, ich finde so etwas.
Die Lebenszeitkosten eines Patienten mit einer Autismus-Spektrum-Störung werden für die USA auf etwa 3,2 Millionen US Dollar (2,3 Millionen Euro) geschätzt, wobei ein Großteil dieser Kosten auf Produktivitätsverlust und Betreuung entfällt.
So etwas habe ich vor etwa fünf Jahren schon einmal gelesen.
Beim ADS-NET finde ich nun die Information, dass ein Professor für Versorgungsforschung, folgende Daten
Dieser wurde eingesetzt, um deutschlandweit die Inanspruchnahme medizinischer und nicht-medizinischer Leistungen, Versorgungspfade sowie die Kosten von Patienten mit der Diagnose ASD zu ermitteln.
ermitteln möchte bzw ermittelt hat.
Daten aus vier Zentren, von AutistInnen, die dort auch weiter betreut werden.
Ob auch weitergehende Daten, von dort nicht mehr betreuten AutistInnen, mit einbezogen wurden, kann ich (derzeit) nicht beurteilen.
Die Gruppe derer, die nie in irgendeinem Zentrum angebunden waren oder sich dort für eine Studie registrieren ließen, fehlt nach den Angaben die nachzulesen sind komplett.
Natürlich kann über einen Mittelwert etwas ermittelt werden, aber genau sind die Daten deswegen mitnichten.
Diese Vorgehensweise könnte eine Erklärung dafür sein dürfte, warum jetzt vermehrt Eltern berichten, dass in Zentren die Diagnostik erneut durchgeführt werden soll.
Schließlich braucht man mehr Daten, damit die Aussagen der Studien valider werden, so jedenfalls mein persönlicher Eindruck.
Das damit zur Zeit laufende Hilfen gefährdet werden, scheint man dafür billigend in Kauf zu nehmen.
Einige Ämter machen von dieser erneuten Diagnostik die weitere Hilfe abhängig.
Das damit die autistischen Kinder und Jugendlichen unnötig belastet werden und Schulsituationen geschaffen werden, die geradezu schädlich für eben jene und ihre Familien sind oder gar Schulplätze gefährdet werden, scheint von wenig Interesse.
Das dadurch auch Kapazitäten gebunden werden, die für Neu-Diagnostiken dringend von Nöten sind, sprechen wir wohl besser nicht.
Sarkastisch könnte man nun anmerken, dass es ja einen wissenschaftlichen Hintergrund hat, aber mir ist ja eher nach Zynismus.
Schließlich wird hier den vorhergehenden Diagnosestellen gewissermaßen unterstellt, nicht sauber gearbeitet zu haben.
Mich würde brennend interessieren, wie eine solche Zweitdiagnostik abläuft. (Erfahrungswerte diesbezüglich bitte gerne in die Kommentare.)
Was aber einige Forscher wirklich stark zu interessieren scheint ist der Kostenfaktor, der AutistInnen zu sein scheinen.
Zu lesen ist
In einem dritten Schritt (3) sollen auf Basis systematischer Reviews der vorhandenen Literatur Daten zu Lebenszeitkosten sowie zu der Frage ermittelt werden, wie sich diese durch Frühinterventionen, die bei Kindern vor Erreichen des sechsten Lebensjahres angewendet werden, beeinflussen lassen.
Hier stellen sich mir nun folgende Fragen
- um welche Frühinterventionen geht es?
- welche Kenntnis über Autismus herrscht bei den Anbietern von Frühinterventionen vor (man kann ja nicht Äpfel mit Birnen vergleichen)?
- WAS ist mit jenen AutistInnen, die nicht vor dem 6. Lebensjahr diagnostiziert wurden?
- über welche Zeitspanne von Frühintervention reden wir hier?
- was soll damit erreicht werden?
Weiterhin (4) wird eine mögliche Stigmatisierung der Betroffenen bzw. deren Eltern untersucht, wozu bisher vergleichsweise wenige Daten vorliegen.
Das finde ich nun wieder interessant.
Wobei, was ist das Ziel dieser Datenerhebung?
Etwa wie in dem hier kritisierten Artikel, der unterstellt, dass
Autismus sei zudem viel positiver besetzt als andere psychiatrische Störungsbilder, so Bachmann
Ich habe damals schon klar gemacht, dass die allerwenigsten Eltern eine Diagnose aus dem AutismusSpektrum anstreben, sondern wirklich gerne wissen wollen, was mit ihrem Kind los ist und woher die Schwierigkeiten resultieren.
Das sie schlussendlich „nur“ Hilfen für ihr Kind haben wollen, weil anscheinend ohne Diagnose das Kind keine erhält.
Hier den Eltern eine Schuld zuzuschieben ist meines Erachtens unbillig.
Und ganz ehrlich, ein behindertes Kind zu haben, ist nichts, was einen in Jubelschreie ausbrechen lässt.
Denn auch wenn Autismus kein Weltuntergang ist, so ist es doch eine Behinderung und fordert viel Kraft und Anstrengung von ALLEN Beteiligten.
Neben allem, was Autismus selbst an Problemen mitbringt, sind es vor allem die Klischees und Vorurteile in der Gesellschaft die Stigmata erzeugen. Viele AutistInnen möchten sich aufgrund der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung lieber gar nicht erst outen (müssen), weil sie Angst haben nicht mehr Ernst genommen zu werden.
Ich bin mir nicht sicher, ob das in der Studie auch erfragt werden soll.
Was ich allerdings hier sehe macht wenig Freude, es werden (nicht nur dort sondern weltweit) enorme Summen freigestellt um über Autismus zu forschen. Aber nach meinen Recherchen gibt es nicht annähernd so viel Geld, wenn es darum geht zu erforschen, wie man das Leben AutistInnen einfacher machen kann.
Oder hat jemand schon eine Forschung gesehen, die den produktiven Effekt von Homeoffice für AutistInnen oder den gesundheitsökonomischen Profit für AutistInnen von Emailkontakten zum Hausarzt beleuchtet?
Wie sieht es mit Schulungen für medizinisches Personal aus?
Wurde schon ermittelt, ob es kostengünstiger ist auf AutistInnen gut einzugehen, statt sie bei „herausforderndem“ Verhalten – sprich Overloads, Meltdowns und Shutdowns – zwangsweise zu medikamentieren?
In der Demenzforschung ist man ja schon zu der Erkenntnis gelangt, dass es förderlich ist, den Dementen immer noch als individuelle Person mit Bedürfnissen anzuerkennen und zu achten.
Bei AutistInnen scheint man von solchem Denken noch meilenweit entfernt zu sein.
Ich sehe viele Forschungen im Bereich Autismus nach wie vor sehr kritisch. Mich konnte noch niemand davon überzeugen, dass er pro Autismus/AutistInnen forscht.
Noch habe ich aber die Hoffnung nicht aufgegeben.
Zumindest kann man bei Michelle Dawson nachlesen, dass viele Forschungsansätze sich selbst widerlegen, oder auf welch schwacher Datenlage „Fakten“ ermittelt wurden.
Vielen Dank für deine Recherche. Ich stimme dir zu, diese Art von Studien lassen nicht wirklich Gutes erhoffen. Unwichtig finde ich die Frage nach dem Kostenfaktor aber nicht. Wie viel Geld wird für blödsinnige und unpassende Maßnahmen von den Sozialhilfeträgern ausgegeben, anstatt eine individuelle und auf lange Sicht kostensparende Unterstützung anzubieten? Unser Staat nimmt es z.B. in Kauf, dass junge AutistInnen auf Dauer – oft ihr ganzes Leben lang- auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Hinzu kommen dann noch die Kosten für medizinische Versorgung ( für Komorbiditäten). Sinnvolle Hilfen werden aufgrund von Kostenaspekten verweigert (zum Beispiel Internatsunterbringung in einem Berufsbildungswerk). Da entsteht auch ein volkswirtschaftlicher Schaden. Wir leben im Kapitalismus. Auf das Wohl des einzelnen Menschen kommt es da nicht wirklich an. Was zählt, sind ökonomische Daten.
Du sprichst es an: es fehlen die Studien, die aufzeigen, wie die Lebensqualität von AutistInnen erhöht werden kann und welche Kosten dabei gespart werden können. Privat kann man sowas nicht in Auftrag geben- aber die Autismus Institute, der Dachverband Autismus Deutschland, Aktion Mensch, Stiftungen oder aber auch Universitäten, bei den Professoren in der Arbeitsmedizin forschen, könnten dies tun oder sich darum bemühen.
Vielleicht sollten wir uns mal selbst auf die Socken machen und das in unserem jeweiligen Zusammenhängen / Wirkungsfeld ansprechen.
Dann hätten auch wir endlich mal Zahlen, mit denen wir argumentieren können. Auch wenn wir das anders sehen: Geld ist unserer Gesellschaft das beste Argument.
Diese Vergeudung von Steuergeldern zulasten von AutistInnen – im übrigen auch von vielen anderen behinderten Menschen – ist skandalös.
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Diese Art von Kostensenkung
„Wie viel Geld wird für blödsinnige und unpassende Maßnahmen von den Sozialhilfeträgern ausgegeben, anstatt eine individuelle und auf lange Sicht kostensparende Unterstützung anzubieten? Unser Staat nimmt es z.B. in Kauf, dass junge AutistInnen auf Dauer – oft ihr ganzes Leben lang- auf staatliche Unterstützungsleistungen angewiesen sind. Hinzu kommen dann noch die Kosten für medizinische Versorgung ( für Komorbiditäten).“
wird garantiert nicht untersucht werden.
Ebenfalls nicht jene, die durch gute Beschulung und vernünftigen Umgang erreicht werden könnte.
Bedenke, schließlich reden wir von AutistInnen, die müssen erst passend gemacht werden um weniger zu kosten. *Zynismus off*
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Das habe ich ja auch geschrieben. Dass diese Art von Studio nicht o. k. sind. Wäre nett du würdest etwas genauer lesen was ich schreibe. Deshalb ja auch meine Idee dass wir selber Studien in Auftrag geben müssen.
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Nur, welchen Wissenschaftler im Bereich Autismus könnte man dafür interessieren.
Schon die Nachfrage, ob jemand schonmal ermittelt hätte, wie hoch die Folgekosten sind, wenn ABA eingesetzt wurde, erntete außer Stirnrunzeln keine Antwort.
Von der Finanzierung mal ganz abgesehen.
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Kannst oder willst du mich nicht verstehen. Ich habe kein Wort von Therapie gesprochen und schon gar nicht von RWA
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Schau mal, was genau untersucht werden soll?
Was glaubst Du was bei „Frühintervention“ bis zum 6. Lebensjahr gemeint ist?
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Ja, aber DARAUF bin ic( gar nicht eingegangen
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Sorry zu früh drauf gedrückt… Schon gar nicht von ABA. Sondern von den Kosten die entstehen, wenn Autisten nach Besuch einer Schule für den Rest ihres Lebens ohne Arbeit bleiben. Weil ihnen eben nicht die Zeit gelassen wird erst einmal zu reifen, bevor sie in die irrsinnige aber zwei geschmissen werden. Da ist es ganz egal, was für einen tollen Schulabschluss sie haben…
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Es ist unbedingt beides zu beachten.
Und sämtliche Kostenstellen.
Ich bin mir da nicht sicher, in wie weit das in der jetzt laufenden Studie und aufgrund welcher Datenbasis passiert.
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In dieser Studie bestimmt nicht. Eine andere Studie mit anderen Blickwinkel her
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Ich habe jetzt nochmal alles durchgelesen.
Entschuldige bitte, dass ich Dich in Teilen missvertanden habe.
Wir sind vollkommen einig darin, dass wir andere Studien benötigen.
Einmal um die Kostenlage genau zu spezifizieren, wie Du beschrieben hast und auch, um den Schaden bei den Eltern zu beziffern, der durch die unzureichende Unterstützung entsteht, gesundheitlich und ökonomisch.
Nicht wenige Eltern erkranken, weil die Kinder so schlecht unterstützt werden und es in Eigenleistung versuchen, das aufzufangen.
Und das wäre auch wichtig zu erfassen statt über Stigmatisierung durch die Diagnose (ob nun positiv oder negativ besetzt) zu „fabulieren“.
Nur habe ich leiderden Eindruck, dass diese Dinge führende Forscher nicht interessieren.
Die einen forschen, was der auslösende Faktor für Autismus ist, die nächsten an der Früherkennung in der Schwangerschaft und wieder andere, wie man die Funktionsfähigkeit (vielleicht auch nur für einen kurzen Zeitraum) erhöhen kann um kurzfristig Kosten senken zu können.
Die hohe Suizidalität bei AutistInnen, die hoch kompensieren/maskieren wird dabei außer Acht gelassen.
https://molecularautism.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13229-018-0226-4
Zumindest soweit ich die deutsche Studie im Moment überblicken kann.
Wenn ich jetzt ganz zynisch wäre, könnte ich zu dem Eindruck gelangen, dass eine hohe Produktivität erreicht werden soll und der Faktor Suizidalität in Kauf genommen wird, da dann keine weiteren Folgekosten entstehen.
Und ja, an ganz schlechten Tagen bin ich so zynisch.
Es tut mir weh, wenn ich sehe, dass es nicht beachtet zu werden scheint.
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Ja, das tut weh …
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