Studien, Umfragen, weitere Studien…

Zur Zeit kursieren so viele Aufrufe zu Studien und Umfragen bezüglich Autismus, dass man sich glatt freuen könnte.

Eigentlich

Ich freue mich allerdings überhaupt nicht. Und das hat viele Gründe. Einerseits liegt es an der Qualität der Umfragen und Studien und andererseits an der Sinnhaftigkeit dessen, was erforscht werden soll. Ein paar grundlegende Dinge wurden schon von einigen Bloggern näher beschrieben.

Die Bloggerin Butterblumenland hat hier mal speziell eine Umfrage genauer beleuchtet.

Auf dem Blog Essays aus dem Elfenbeinhochhaus gibt es einen lesenswerten Artikel „Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen: Die Gütekriterien von Forschung“. Die Bloggerin hat dort mal im Kleinen kategorisiert, wo und wie man Studien lesen sollte. Auf dem selben Blog findet man auch noch etwas darüber, wie man gute und/oder „merkwürdige“ Plattformen die Studien veröffentlichen, besser unterscheiden lernt. („Wo sich Alternative Fakten und anderer Quatsch zu Hause fühlen: über Predatory Journals“). Beide Artikel zusammen ergeben nach meinem Empfinden schon mal einen kleinen Überblick wie wir Eltern (die ja nicht alle mit wissenschaftlicher Quellenarbeit vertraut sind) Studien lesen können.

Denn nicht alles, was erforscht und/oder veröffentlicht wird, ist das Papier wert, auf dem es steht.

Ein gutes Beispiel sind die Vitamin D Studien. Die Bloggerin Gedankenkarrussell hat sich damit in dem Artikel „Vitamin D gegen Autismus“ mal näher beschäftigt. Dort gibt es noch einen weiteren lesenswerten Artikel zum Impfen und Autismus und der gefälschten Studie von Wakefield.

Auch auf dem Blog von Aleksander Knauerhase gibt es einen sehr guten Artikel zu Forschungsprojekten „Trau, Schau, wem“.

Sehr empfehlenswert ist übrigens auch der Twitter-Account von Michelle Dawson. Dort sammelt Michelle Dawson Links zu abgeschlossenen und laufenden Studien. In ihrem (englischsprachigen) Blog „the autism crisis“ findet man diesen lesenswerten Artikel „What history tells us about autism research, redux“. Für diejenigen, die Michelle Dawson noch nicht kennen, hier noch ein paar Hintergrundinformationen.

Und ich kann nur jeden Leser bitten, der diese Blogartikel noch nicht kennt, diese zu lesen.

Zur Zeit scheint neben der Genetik Oxytocin das Thema zu sein, wo Forschungsgelder akquiriert werden können.

Es gibt ja bereits mehrere Artikel, wo Oxytocin als „Kuschelhormon“ beschrieben wird und einige Fachleute scheinen der Meinung zu sein, dass es a) Autisten fehlt (bzw. möchten diese durch die Studien beweisen, dass es keinen Mangel gibt) und b) es Autisten zugänglicher macht für Therapien und soziale Kommunikation.

In einer Studie wurde dieses „Kuschelhormon“ schon mal angedacht um (so grundsätzlich) Fremdenfeindlichkeit zu vermindern. In diesem Artikel wird von der Arbeit des niederländischen Psychologen Carsten De Dreu berichtet und seine Ausführungen sind lange nicht so positiv wie viele andere Studien und deren Rückschlüsse.

Unter anderem wird Sinn und Zweck der Studien im Bereich Autismus zu Oxytocin in einem Aufruf so benannt

WAS GENAU WOLLEN WIR UNTERSUCHEN?
Mit dieser neuen Studie möchten wir überprüfen, ob Kinder und Jugendliche mit ASS noch mehr von einem sozialen Kompetenztraining profitieren, wenn sie zusätzlich vor den Trainingsstunden Oxytocin per Nasenspray erhalten.
In einer Reihe von Studien konnte bereits nachgewiesen
werden, dass die intranasale Einnahme von Oxytocin u. a.
zu einer deutlichen Verbesserung des Mitgefühls, des
Augenkontakts und des sozialen Gedächtnisses führt. Das
körpereigene Hormon Oxytocin spielt eine wichtige Rolle
in der Steuerung des Sozialverhaltens, der Bindungsfähigkeit und der sozialen Informationsverarbeitung. Einige Wissenschaftler sehen Oxytocin daher als einen wichtigen Faktor bei der Entstehung von ASS an sowie als eine
Möglichkeit der effektiven Behandlung.

Es soll also überprüft werden, ob man durch die Gabe von Oxytocin per Nasenspray einen Autisten dazu bewegen kann, mehr Mitgefühl/Empathie zu zeigen, Augenkontakt zu halten und das soziale Gedächtnis zu trainieren.

Über solche Therapieziele hatte ich schon mal ausführlich geschrieben. Dort habe ich auch das mit dem Augenkontakt beleuchtet. Auch zu Empathie findet man hier im Blog schon einiges. Das mit dem „sozialen Gedächtnis“ ist für mich neu. Hier scheint mir eine Begriffsklärung angebracht.

Der Begriff soziales Gedächtnis beschreibt soziale Bezugnahmen auf Vergangenes. Dazu gehören neben Routinen, Praktiken oder bedeutsamen Objekten die unterschiedlichen Formen des Erinnerns, aber auch das Unterbleiben solcher Bezugnahmen im Sinne eines Vergessens in Gemeinschaften und Gesellschaften. Aufgrund dieser vielfältigen Ansatzpunkte und aufgrund der Tatsache, dass Vergangenheitsbezüge in unterschiedlichen Bereichen des Sozialen differieren, liegt es nahe, den Begriff im Plural – als soziale Gedächtnisse – zu verwenden.

Ganz ehrlich, mir „stellen sich die Nackenhaare hoch“ (RW) wenn ich das lese. Es wird unterstellt, dass AutistInnen kein soziales Gedächtnis hätten. Was genau in Göttingen darunter verstanden wird, erschließt sich mir nicht. Fassen die dortigen Forscher darunter etwa zusammen, dass AutistInnen sozialen Normen nicht genügen würden und wollen das Erlernen durch die Gabe von Oxytocin nun befördern?

Und hier kommen wir zu meinem größten Kritikpunkt bei all den Forschungen bzgl. Autismus überhaupt.

  • Unter welcher Prämisse und mit welchem Wissen wird zu Autismus geforscht?
  • Sind die meisten Forschungs-/Studienergebnisse nicht eigentlich schon vollständig hinfällig, weil Autismus nicht verstanden wurde?
  • Warum wird nicht in Zusammenarbeit mit AutistInnen erstmal das „Mysterium“ Autismus genauer erforscht und nach deren Bedürfnissen geschaut.

Wie wäre es denn, wenn Forscher endlich verstehen würden, dass Blickkontakt und Händeschütteln für viele AutistInnen schwer erträglich bis schmerzhaft ist.
Wie wäre es, wenn Forscher ermitteln würden, an welchen Faktoren es oft hängt, dass ein Arbeitsplatz oder eine Schulklasse für AutistInnen so oft zu Reizüberflutungen führt.
Ach ja, die Punkte die es zu erforschen gibt sind so vielfältig und anscheinend gibt es auch ausreichend Geld. Wenn es denn endlich mal zielführend eingesetzt werden würde.

Aber nein, die Forschung ist daran interessiert, dass AutistInnen für Außenstehende nicht mehr autistisch wirken. Das sie lernen zu funktionieren.

Der Ansatz, AutistInnen das Leben zu erleichtern weil man ihre Bedürfnisse ernst nimmt, scheint nicht profitabel genug.

Ich hingegen fände es zielführend, wenn AutistInnen endlich auf sie abgestimmte Hilfen bekämen statt sie auf Norm zu trimmen. Aber damit scheint sich kein Geld verdienen zu lassen.

 

Update: 29.10.2022

es gibt also keine messbaren Erfolge mit Oxytocin.

9 Kommentare zu „Studien, Umfragen, weitere Studien…“

  1. Wir sind ja öfter unterschiedlicher Meinung, aber hier stimme ich Dir vollkommen zu. Ich bin zwar grundsätzlich bereit, an Studien teilzunehmen, mit Ausnahme aber der angesprochenen Oxytocinstudie, weil ich auch davon ausgehe, dass die Annahmen hier falsch sind.

    Like

    1. Wenn es nur eine Studie wäre…

      Es kursieren nach meinem Wissensstand derzeit mindestens drei verschiedene Studien zu Oxytocin in Deutschland unter jeweils anderen Prämissen und für unterschiedliche Altersklassen. Weltweit werden es noch mehr sein.
      Eigentlich reicht es schon für ein Bullshit-Bingo.

      Gefällt 1 Person

      1. Zitat :
        „Mit dieser neuen Studie möchten wir überprüfen, ob Kinder und Jugendliche mit ASS noch mehr von einem sozialen Kompetenztraining profitieren, wenn sie zusätzlich vor den Trainingsstunden Oxytocin per Nasenspray erhalten.“

        Der Satz verbindet für mich 3 Probleme.
        1. Es wird behauptet Kinder und Jugendliche profitieren von sozialem Kompetenztraining.
        2. Die Behauptung wird gesteigert , in dem noch mehr angeblich profitiert werden könne , wenn Oxytocin versprüht wird.
        3. Es erinnert mich an einen Mäuseversuch , bei dem hier Autisten als Labor Mäuse herhalten müssen.

        Zitat :
        „Wie wäre es denn, wenn Forscher endlich verstehen würden, dass Blickkontakt und Händeschütteln für viele AutistInnen schwer erträglich bis schmerzhaft ist.
        Wie wäre es, wenn Forscher ermitteln würden, an welchen Faktoren es oft hängt, dass ein Arbeitsplatz oder eine Schulklasse für AutistInnen so oft zu Reizüberflutungen führt.
        Ach ja, die Punkte die es zu erforschen gibt sind so vielfältig und anscheinend gibt es auch ausreichend Geld. Wenn es denn endlich mal zielführend eingesetzt werden würde.“

        Stimme voll umfänglich zu !!!!

        Gefällt 3 Personen

      2. In Rosenheim hat Dr. Schilbach eine noch nicht veröffentlichte Studie gezeigt, wo wirtschaftliche Zahlen zu Asperger und die hohe Arbeitslosigkeit vorgestellt werden.

        Like

  2. Ich halte es grundsätzlich und nicht nur in diesem Zusammenhang für sehr fragwürdig, wenn „das Pferd von hinten aufgezäumt“ (RW) werden soll, also wenn Auslöser und Folge ausgetauscht werden. Bloß weil beim „Kuscheln“ Oxytocin im Körper gebildet wird – bzw. die Oxytocin-Konzentration danach messbar höher ist – heißt das für mich nicht, dass die künstliche Verabreichung dieses Hormons einen Menschen zwangsläufig „kuschliger“ macht. Das würde ein vom Arzt oder von einem Mediator verordnetes „Zwangsschmusen“ ja auch nicht tun. Was ich bisher über die „Festhalte-Therapie“ gelesen habe, klingt eher nach dem Gegenteil. Mich würde es überhaupt nicht überraschen, wenn irgendwann rauskommt, dass für die Bildung oder für die Verwertbarkeit von Oxytocin im Organismus zwingend eine vorherrschende Sympathie für die Person, auf die es ankommt, erforderlich ist.
    Mal davon abgesehen wird bei dieser Denkweise ganz ausgeblendet, dass viele Menschen im Autismusspektrum gegenteilig auf bestimmte Substanzen reagieren. Zumindest hab ich schon öfter gelesen, dass ich nicht die einzige bin, die von Koffein müder wird und von Beruhigungsmitteln Panikattacken bekommt.

    Gefällt 1 Person

    1. Zitat Martina:
      „Mich würde es überhaupt nicht überraschen, wenn irgendwann rauskommt, dass für die Bildung oder für die Verwertbarkeit von Oxytocin im Organismus zwingend eine vorherrschende Sympathie für die Person, auf die es ankommt, erforderlich ist.“

      Da möchte ich gerne nochmal auf den Artikel aus Zeit verweisen
      http://www.zeit.de/2016/15/oxytocin-hormon-gehirn-forschung/seite-4

      Zitat aus der Zeit:

      „…..Doch so gegensätzlich die Versuchsergebnisse erscheinen – Kooperation hier, Aggression dort –, sie widersprechen einander nicht:
      ……
      Das führt zu fürsorglichem Verhalten gegenüber der eigenen Brut und zu aggressivem Verhalten gegenüber potenziellen Angreifern. Oxytocin ist also ein Kuschelhormon – aber auch ein Kampfstoff….. „

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..