Das ist meines Erachtens DIE Fehlannahme des Jahrhunderts, da unterscheiden zu wollen.
Da der Weltautismustag seine Schatten voraus wirft, kommen immer mehr Beiträge zum Thema in den Medien.
Teils, wie gewohnt, was mit Heilung oder haarsträubende „Medikationsempfehlungen“, teils halt auch so was wie im Titel benannt.
Ich habe zwei Söhne und zwei Töchter.
Sie sind alle vier autistisch.
Zwei von ihnen haben zusätzlich ADHS.
Sie haben unterschiedliche Interessen und zum Teil gehen diese richtig tief, grenzen also fast schon an Spezialinteressen.
Sie haben auch unterschiedliche Begabungen.
Aber ihr Autismus ist „gleich“.
Er unterscheidet NICHT nach weiblich oder männlich.
Was sie in Teilen tatsächlich unterscheidet, sind ihre Lebenserfahrungen.
Sie haben unterschiedliches Mobbing aber vor allem unterschiedliche Reaktionen im Umfeld gegen das Mobbing erlebt.
Sie hatten auch unterschiedliche Lehrkräfte.
Die Einen bauten maximalen Druck auf, ihre Erwartungshaltung war wahnsinnig hoch.
Die Anderen boten Ausgleich und Lösungen an.
Dementsprechend haben meine Kinder gelernt, wo Masking / Maskieren zwingend notwendig ist oder eben auch, wo mal die Maske fallen gelassen werden kann.
Mein Ältester maskiert quasi ständig.
Meine Älteste nur in ausgesuchten Momenten.
Die Diagnostik bei meinen Töchtern dauerte länger als bei meinen Söhnen.
Was aber NICHT in der Unterschiedlichkeit des Autismus begründet ist, sondern in Fehlannahmen der Diagnostiker.
Auch die Diagnosebögen, die meist auf die ER-Form abzielen, sind da nicht hilfreich.
Und vor allem sind die Fehlannahmen in der rosa/hellblau Falle begründet.
Beispiel:
Wenn ein Mädchen sich für Pferde stark interessiert und darüber alle Fakten sammelt, dann ist das sozial akzeptiert und „nichts besonderes“.
Es kann sogar innerhalb der Peergroup bis zu einem gewissen Zeitraum mit dem Wissen punkten.
Wäre das Thema Bahnhöfe und Zugfahrpläne wäre es anders.
Und so sieht es auch bei Jungen aus.
Ist das Thema Dinosaurier oder Technik, alles gut.
Ist das Thema aber abstrakter, für das Umfeld nicht greifbar genug, ist es auffällig.
Vor allem aber ist der Umgang in der Peergroup Jungs / Mädchen oft ein anderer.
Und ebenso die Erwartungshaltung von außen, was Jungs so zu tun haben oder eben Mädchen.
Es sind klassische Denkmuster, die in Teilen der Gesellschaft leider immer mehr zurückkommen.
Es scheint WIEDER unheimlich erwähnenswert zu sein, wenn ein Mädchen Schreinerin werden will oder ein Junge Modist.
Es wird nicht vom Interesse und der Begabung auf den Menschen geschaut sondern auf das Geschlecht und was dem Geschlecht an Fähigkeiten und Interessen zugeordnet wird.
Das aber weder Begabungen noch Interessen geschlechtsspezifisch sind, scheint Teilen der Gesellschaft wieder aus dem Gedächtnis zu entschwinden.
Wir erleben hier einen großen Rückschritt in der Gesellschaft.
In der Diagnostik von Autismus bemerkt man dies relativ schnell und es hat mich vor 12 Jahren schon sehr erschreckt.
Mein ältester Sohn wurde erst mit 13,5 Jahren diagnostiziert.
Und das auch nur, weil das Mobbing innerhalb des Klassenverbandes so sehr unfähig machte, maskieren zu können.
Und das die Lehrkräfte nichts unternahmen, dass Mobbing zu beenden, verschlimmerte seinen Unfähigkeit.
Als die Diagnose stand, sagte ich sofort, dass haben meine anderen drei auch.
Sie zeigen in unterschiedlichen Ausdrucksformen die identischen Symptome.
Und doch dauerte es noch 4 Jahre, bis auch meine Töchter die Diagnosen erhielten.
DAS lag aber nicht daran, dass meine Töchter so anders sind, sondern daran, dass die Diagnostiker nicht in der Lage waren, die Fragen anders zu interpretieren / zu stellen.
Die Mär vom weiblichen oder männlichen Autismus ist genaus so FALSCH wie die Geschichten vom milden Autismus.