Emotionen nicht erkennen / einordnen können?

Vor längerer Zeit las ich über ein Forschungsprojekt, dass in Teilen sehr interessant sein könnte. (Archivlink, weil solche Berichte nur zu gerne „verschwinden“)

Aber anscheinend gibt es nur weitere Mittel für dieses Forschungsprojekt, wenn man beispielsweise einen „therapeutischen“ Nutzen ableiten könnte.

Anders ist es nicht zu erklären, dass die neue Technik nun auch in Bezug auf Autismus erforscht werden soll.

Diese Forschung geht von der falschen Prämisse aus, dass Autist/-innen nicht in der Lage wären, ihre eigenen Emotionen richtig einzuordnen und noch weniger die Emotionen anderer Menschen „lesen“ zu können.

Zum ersten Punkt ist zu sagen, dass die Zuordnung „eigene Gefühle nicht einordnen können“ fälschlich Autismus zu geschrieben wird. Denn, nicht jede/r Autist/-in hat Alexithymie.

Während man bei Autismus nach derzeitigem Kenntnisstand (06/22) davon ausgeht, dass 1-2 Prozent der Bevölkerung autistisch ist, sieht es bei Alexithymie gemäß Quarks und Co wie folgt aus

Etwa zehn Prozent der Deutschen haben Alexithymie. Sie können ihre eigenen Gefühle weder erkennen noch aussprechen.

Gefühlsblindheit tritt also wesentlich häufiger auf als Autismus und ist unabhängig von Autismus zu betrachten.
Das passiert aber in dem oben verlinkten Forschungsprojekt nicht.

Bei Gefühlsblindheit KANN ! die Theory of Mind gestört sein, muss aber nicht. Es kommt auch IMMER auf den Kontext an, ob man Verständnis für das Gegenüber hat. Denn allzu oft wird Verstehen mit Verständnis verwechselt.

Ich kann kognitiv verstehen, wenn ich jemanden vor mir habe, der wütend ist. Aber ob ich auch empathisch die Wut nachvollziehen kann und Verständnis aufbringe, ist etwas gänzlich anderes.

Auf Gefühle des Gegenübers adäquat reagieren zu können beinhaltet auch sehr oft, dass man sein Gegenüber kennen muss.

Auf dem Blog von dasfotobus findet sich dieser wichtige Beitrag Erlebenswelten.

Ich muss also gedanklich meine eigene Erlebenswelt verlassen, die andere Erlebenswelt bewusst zu erfassen versuchen, so gut es geht. Und dann kann ich bewusst (statt intuitiv) überlegen, wie es dem Wesen ergehen mag.

Je näher sich Menschen sind, um so einfacher ist es für diese, sich in das Gegenüber hineinversetzen zu können.

Je weniger Menschen sich untereinander kennen, um so schwieriger wird es.

Nichtautisten haben ein erhebliches Problem, sich in die Gefühlslage von Autisten hineinzuversetzen, weil ihnen deren Erleben fremd ist. Dies nennt man das „Double Empathy Problem“.

Die Forschung zu Autismus blendet aber leider diesen Fakt aus.

Anders ist es nicht zu erklären, dass ständig neue Forschung mit Behandlungsansätzen aufploppt, die einem Behandlungswahn gleichen.

Und gleichzeitig erleben Autist/-innen ständig, dass ihnen die Validität der Gefühle und des Empfindens abgesprochen werden.

Als Kind habe ich wie du angezeigt, dass etwas ein Missempfinden auslöst, beim Anziehen bestimmter Kleidungsstücke geweint. Die Intensität bzw Existenz dieser Berührungsreize hat mir unsere Gesellschaft nicht zugestanden. „Das ist nicht schlimm!“ Selbst bei „anerkannten“ Reizen wurde eine gesellschaftlich akzeptierte „Reaktionsspanne“ vorgegeben, andere Reize schlichtweg negiert. Ich dachte, ihr „alle“ seid einfach besser darin mit der Intensität der Reiz umzugehen. In Wahrheit habt ihr nicht gespürt, was Autist*innen wahrnehmen können.

Im verlinkten Blogbeitrag werden zwar in der Hauptsache sensorische Empfindungen besprochen, aber bereits diese Gefühle werden so oft negiert, dass es sich auch auf weniger leicht greifbare Dinge wie Emotionen überträgt.

Nehmen wir mal das Beispiel Trauer. Es ist hoch unterschiedlich wie und wie lange Menschen trauern. In diesem Beitrag werden Klischees und auch Falschvorstellungen besprochen, aber auch nüchtern analysiert was Trauer ist.

Trauer kennt kein Ende, der Schmerz wandelt sich. Man lernt, mit dem Schmerz zu leben. Ein neuer Trauerfall kann auch alte Trauer wieder hervorholen.

Es ist also gesellschaftlich (in großen Teilen) verstanden worden, dass es keine allgemeingültigen Regeln für Trauer gibt.

Warum sollte es also allgemeingültige Regeln für andere Emotionen geben?

Aber statt ins Gespräch zu kommen und die andere Erlebenswelt von Autisten verstehen zu lernen, soll mit dem obigen Forschungsmodell Autisten nach Schema F verständlich gemacht werden, wie Gefühle bei anderen Menschen funktionieren und wie dann zu handeln ist.

Ich halte das für sehr schwierig. Weder kann ich den Reparaturgedanken nachvollziehen noch halte ich es für gut, Emotionen in grobe Muster einzuordnen und dann schematische Lösungen vorzugeben.

Aber leider ist für solche Forschung immer Geld vorhanden.

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