Behandlungswahn 2.0

Ich hatte mich ja schon einmal zu Behandlungswahn im Bereich Autismus geäußert. Damals ahnte ich schon, dass diese „Liste“ nicht vollumfänglich sein wird. Nun wurde der nächste Schritt gewagt. Die Uni Passau stellte einen Roboter vor.

Ziel ist es

„…..Wie lassen sie (Emotionen) sich mit Hilfe von Computern erkennen – und wie können Computer ihrerseits Emotionen erlernbar machen?…..“

„…..sich mit multimodaler Mensch-Roboter-Interaktion zur Erweiterung der sozialen Vorstellungskraft bei autistischen Kindern beschäftigt…..“

Der zu entwickelnde Roboter soll später in der Lage sein bei dem autistischen Kind dessen emotionale Zustände wahrzunehmen, diese zu deuten und dann an deren Veränderung mitzuarbeiten.

Um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie weit dies bereits fortgeschritten ist, kann man sich diesen Bericht ansehen.

Bereits bei der Ankündigung, dass ein Roboter zu Therapiezwecken im Bereich Autismus entwickelt werden soll, hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl. Wie soll das gehen? Wenn doch bereits viele Bezugspersonen autistische Kinder häufig fehlinterpretieren. Wenn Zorn oder Wut oder gar vielleicht Trauer erkannt wird, es aber schiere Verzweiflung ist. Wenn ein nach außen „gleichgültiges“ Gesicht eher innere Zufriedenheit darstellt.  Wie soll der Roboter erkennen, was einem Gefühl zu Grunde liegt. Laut Bericht soll dies über Algorithmen möglich sein. Ich hege da große Zweifel.
Auch stellt sich mir die Frage warum das Kind auf Anweisung Gesichtsausdrücke eines Roboters nachahmen soll. Machen das die Eltern nichtautistischer Kinder auch dauernd? Die vom Roboter erzeugten Gesichtsausdrücke empfinde ich übriges als sehr schwierig zu deuten.

Anstatt nun Eltern zu befähigen, ihr Kind lesen zu lernen und ihm dadurch Entlastung zu bieten wird dem autistischen Kind mal wieder etwas übergestülpt.

In dem Bericht der Uni ist zu lesen:

„…..bei ihnen lassen sich aber auch bestimmte Fähigkeiten feststellen im Umgang mit regelbasierten, vorhersagbaren Systemen, wie sie Roboter darstellen. …..“

Geht es hier jetzt darum, dass gerade autistische Kinder Spielzeuge bevorzugen, die immer gleich reagieren und deswegen als verlässlich empfunden werden und gerne genutzt werden? Wenn ja, wie soll dies nun mit einem Roboter dargestellt werden, der ja interaktiv mit dem Kind agieren soll.

Kommunikation mit einem Roboter zu trainieren bietet korrekter Weise den Vorteil, dass seine Reaktionen (so zumindest die Grundidee) immer gleich sind. Aber wie kommt es dann zur Transferleistung auf eine Vielzahl von Menschen, die ja nun gerade das nicht leisten.

Weiter ist davon die Rede, dass Kommunikation als bedrohlich empfunden wird von autistischen Kindern und AutistInnen. Ist das wirklich so?
Oder liegt dies nur an der hohen Rate von Missverständnissen, die aus unspezifischer Kommunikation resultieren.
Wie soll dies durch Trainig des autistischen Kindes mit einem Roboter minimiert werden?
Lernen auch die nichtautistischen Kinder und Erwachsenen diese „klare“ Form der Kommunikation, damit beide auf dem gleichen Kenntnisstand sind und somit die Ebene der Missverständnisse ausgeschaltet wird?

Nun aber zurück zu der Reportage, wo ich einen Roboter im Comic-Style (was somit ja weit entfernt von der Realität ist) sehe. Seine Stimme empfinde ich persönlich als unangenehm und leiernd. Direkt zu Anfang erteilt der Roboter die „Arbeitsanweisung“: „jetzt lach doch endlich mal“. Ob dies nun zur Auflockerung dieses Berichtes gedacht war oder auch tatsächlich später in der Therapie so kommen wird, erschließt sich mir nicht. Ich empfinde es allerdings als übergriffig. Und es ergeht nicht nur mir so.

Der Roboter wird laut Bericht trainiert wie ein kleines Kind, dass noch keine Emotionen kennt.

Bitte was?

Gewöhnlicher Weise geht man ja davon aus, dass bereits der Fötus Gefühle wahrnimmt und verarbeitet. Und nach der Geburt sind Eltern gefordert die Bedürfnisse ihres Kindes deuten zu lernen; somit also auf dessen Ausdrucksformen von Gefühlen achtsam eingehen zu müssen. Und dies hört meiner Erfahrung nach nie auf. Eltern von „norm“alen Kindern, die in die Pubertät eintreten dürften wissen was ich meine. Warum soll dies bei autistischen Kindern nicht so sein?

Liegt nun also dem ganzen Projekt die Annahme zu Grund, dass autistische Kinder keine Emotionen kennen? Wenn ja, woher kommt diese Annahme?

Erkennen die Bezugspersonen des autistischen Kindes bzw. die Wissenschaftler dessen Gefühle nicht und benötigen deshalb für sie eindeutig identifizierbare Marker?

Muss also das Kind therapiert bzw. trainiert werden, damit später die Bezugspersonen es leichter haben?

Zusammengefasst bleibt bei mir die große Sorge zurück, dass mal wieder nur an einem Symptom herumlaboriert wird und der Kern dessen, was Autismus ist und wie man unterstützen kann außer Acht gelassen wird.

Mir stellt sich, wie so häufig bei solchen Projekten, die Frage ob AutistInnen in die Forschung miteinbezogen wurden. Nach meiner Erfahrung aus vielen anderen Projekten gehe ich nicht davon aus.

Und wie der Roboter und in welchem Setting er schlussendlich eingesetzt werden soll ist leider auch nicht erkennbar.

Nur soviel nehme ich aus dem Bericht der Uni Passau noch mit

„Wir führen die Analyse mit Hilfe von inkrementellem, halb- oder unüberwachtem Lernen durch, das heißt, das System soll auch selbst die Zustände, um die es geht, lernen, ohne dass ihm immer gesagt wird, worum es geht; darüber hinaus kann das System seine Analyse auch während der Interaktion mit neuen Daten verfeinern und sich damit an den Benutzer anpassen“, so Björn Schuller.

dem Roboter Zeno wird anscheinend mehr zugetraut als einem autistischen Kind.

Update 29.08.2018

In diesem lesenswerten, englischen Artikel wird die
„Die fragwürdige Ethik der Behandlung autistischer Kinder mit Robotern“
beleuchtet.

„New robot therapies are based on the assumption that autistic behaviour is robotic. Critics argue that this is a fundamental misunderstanding of the condition“

Nein, das Verhalten von AutistInnen ist nicht roboterhaft!

 

Update 13.05.19

Von Zeno hat man nun schon lange nichts mehr gehört, auch habe ich keine Studienergebnisse über die Effektivität finden können.

Dafür habe ich in einem Artikel einen neuen Roboter gefunden.

Roboter, erklärt Kopp, haben für Menschen mit Autismus den Vorteil, dass sie weniger komplexe »interne Zustände« haben, dass ihre Reaktionen vorhersehbar und ihre soziale Ausdrucksfähigkeit reduziert sind und sie zudem jede Aktion beliebig oft und ohne Änderung wiederholen können, ohne zu ermüden oder gereizt zu sein.

Wieder wird darauf abgestellt, dass nur ein Roboter eine gleichbleibende Verlässlichkeit für AutistInnen bieten könnte.

Wieder werden autistische Kinder entmenschlicht.

Wieder wird unterstellt, dass das Umfeld nicht in der Lage sei, AutistInnen gut unterstützen zu können.

Und auch, dass Kinder nur über das Gleichmaß und nicht über Varianz lernen könnten.

Nur wird dabei vollständig übersehen, dass autistische Kinder später das erlernte auf die sie umgebenden NichtautistInnen übertragen sollen, die dann in KEINSTER WEISE so reagieren, wie es der Roboter vorgespielt hat.

DAS verzögert das Lernen von autistischen Kindern um ein Vielfaches!


6 Kommentare zu „Behandlungswahn 2.0“

  1. Immer dieses ständige Rumgemache, wo es nix rumzumachen, zu korrigieren gibt. Weil nix FALSCH ist an Autisten. Wann wird das denn endlich mal begriffen. Aber ja, so lange es Menschen gibt, die Geld damit machen können bleibt die Ethik außen vor. Hoffe nur, dass Eltern da klar sehen.

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