Wie empathisch sind meine autistischen Kinder, oder sind sie „nur“ hilfsbereit?

Wie oft hört und liest man, dass AutistInnen und autistische Kinder einen Mangel an Empathie hätten.

Und ich frage mich dann immer, wie kommen denn all die „Fach„leute bloß auf das „dünne Brett“ (RW).

Der Duden definiert Empathie so

Bereitschaft und Fähigkeit, sich in die Einstellungen anderer Menschen einzufühlen

Bei Wikipedia gibt es dann unzählige Definitionen unter dem Hauptbegriff. Und diese

3. Empathic Concern zur Erfassung der Sympathie für andere und der Fähigkeit, deren Gefühle nachzuvollziehen (emotionale Empathie)

scheint für Außenstehende von AutistInnen nicht erfüllt zu sein.

Die Bloggerin innerwelt hat schon vor Jahren einen beeindruckenden Text zu Empathie geschrieben.

Auch die verstorbene Sabine Kiefner hat einen tollen Text dazu auf ihrem Blog.

Warum ich überhaupt auf dieses Thema zu sprechen komme? Weil die Schulbegleitung vom Jüngsten gestern relativ stark erstaunt war, dass unser Sohn wahrgenommen hat, dass ein Kind in seinem Umfeld traurig aussah und er, für sich selber schlüssig, dem Kind einfach das Klassenplüschtier in den Arm geben wollte. Er hat wahrgenommen, dass es dem Kind nicht gut ging und hat das angeboten was ihm selber am meisten hilft. Er hat also aus der Körperhaltung und dem Gesichtsausdruck des ihm vollkommen fremden Kindes geschlossen, dass etwas nicht stimmt. Ihm kommt da wohl auch seine Distanzlosigkeit zu Gute, dass er da so offensiv das Plüschtier angeboten hat. Denn das hätten meine anderen drei nicht getan.

Wenn ich meine Kinder so betrachte, dann sind sie hochempathisch.
Sie nehmen wahr, wenn beim Gegenüber etwas nicht stimmt, handeln dann aber lösungsorientiert. Jeder für sich auf seine Art und je nachdem wie sie zu demjenigen stehen, dem es nicht gut geht.
Einfach Trost spenden, wie es sich die Allgemeinheit vorstellt, ist das nicht.

Ich versuche es mal an Beispielen aus unserem Alltag zu beschreiben.

Vor über 10 Jahren bin ich gestürzt und habe mir das Bein gebrochen. Der rechte Fuß stand in einem ungewöhnlichen Winkel vom Bein ab. Meine Kinder haben mich nach einem Sturz relativ direkt gefunden. Ich war mit unserem Jüngsten schwanger und die anderen waren verhältnismäßig klein. Unser damals 10jähriger schaute kurz und rannte sofort los um die Nachbarn zu holen. Die 8jährige schnappte sich die 5jährige und brachte sie zu der unter uns wohnenden alten Dame. Die Nachbarn holten ein Auto und der Große fragte, was als nächstes zu tun sei, holte dann auf meine Anweisung mein Handy und kümmerte sich dann um die Schwestern. Ganz ohne Tüddelei.
Später zeigten sich die Nachbarn verwundert, dass keins meiner Kinder bei mir saß und mich umarmte oder mit mir weinte.

Anderes Beispiel
bei der IQ-Testung im HAWIK wird auch abgeprüft, wie „man“ in sozialen Situationen handelt. Es gab eine Bildfolge wo ein brennendes Haus und ein weinendes Kind gezeigt wurden.
Mein Ältester sollte nun beschreiben / ankreuzen, was er zu tun gedenke.
Er kreuzte alles korrekt an, bis auf, dass er das weinende Kind nicht in den Arm nehmen würde um es zu trösten.

Auf Nachfrage der Psychologin, warum er dies denn nicht tun würde sagte er:

„Wieso, die Feuerwehr habe ich informiert, das Haus wurde gelöscht und dem Kind ging es soweit gut. Das reicht doch“

Wenn es noch ein Feld gegeben hätte, dem Kind eine Decke und etwas zu trinken zu bringen (welches in dem Testformat nicht vorhanden war) dann hätte er auch das angekreuzt.

Für meine Begriffe ist das empathisch.

Lösungsorientiert Abhilfe schaffen und die akute Not lindern.

Die Tode meiner Eltern und auch die vorhergehenden zum Teil langen Krankheitsverläufe haben meine Kinder auch nicht dazu gebracht nur weinend durchs Haus zu gehen.
Haben sie deswegen etwas keine Trauer verspürt oder nicht mitgelitten?

Mitnichten!

Aber wie sagte meine Große

„Es bringt doch nichts, wenn ich jetzt immerzu weine. Davon wird es doch auch nicht besser und helfen tut es keinem.“

Sie sind immer, wenn es irgend ging, mit ins Krankenhaus. Als meine Mutter bei uns lebte und Pflege benötigte, haben sie nach ihren Kräften mitgeholfen. Sie haben sich gekümmert. Und auf der Beerdigung haben sie tatsächlich auch gelächelt. Weil sie wussten, dass keine Besserung mehr zu erwarten war und derjenige nun keine Schmerzen mehr hat.

Wenn sie Mobbing in ihrer Gegenwart erleben, dann versuchen sie jemanden darauf aufmerksam zumachen, damit derjenige das dann abstellen kann; sofern sie selber nicht dazu in der Lage sind.

Meine Kinder erkennen, wenn etwas schief läuft bzw. wenn jemand Hilfe benötigt und versuchen nach ihren Kräften zu helfen.

Das, so finde ich, ist empathisch.

Ich habe schon oft beobachtet, dass meine Kinder ganz feine „Antennen“ haben, wenn es jemand aus dem direkten Umfeld nicht gut geht. Darauf reagieren sie selber mit Verunsicherung, wenn sie nicht greifen können warum.

Sie schwingen also mit.

Das heißt aber nicht, dass sie diesen Menschen nun mit Fragen überhäufen oder ihm körperliche Nähe „aufzwingen“. Und überhaupt, was bedeutet es, sich in einen anderen Menschen „einzufühlen“.

Keine Situation, die irgendjemand erlebt, ist so gleichwertig als das man seine eigenen Gefühle diesbezüglich denen des Gegenübers gleichsetzen kann. Es ist maximal ähnlich.
Natürlich kann ich aufgrund meiner eigenen Erfahrungen ähnliches empfinden. Aber mein Gefühl ist doch niemals gleichwertig dem des anderen.

Für meine Begriffe gibt es in der Allgemeinbevölkerung und auch bei Fachleuten ein tiefes Missverständnis bzw. eine Fehlinterpretation bezüglich Empathie und Autismus.

Wenn nun ihr Eltern autistischer Kinder meint, Eure Kinder wären nicht empathisch, dann schaut öfter und vor allem genauer hin, wie eure Kinder reagieren und was sie tun.

7 Kommentare zu „Wie empathisch sind meine autistischen Kinder, oder sind sie „nur“ hilfsbereit?“

  1. Ich kann deine Beschreibung nur absolut bestätigen. Leute trösten lasse ich lieber bleiben. Ich weiß da nie wirklich, was ich ihnen nun sagen soll (es wirkt auf mich vieles schlicht wie irgendwelche holen Phrasen, die nicht wirklich so gemeint sind … also fast schon Lügen) und wenn, dann stelle ich mich ziemlich ungeschickt an. Dafür kann ich durchaus gut zuhören, wenn jemand einfach nur reden will.
    Aber leidende Personen erkennen? Geht. Lösungsorientierung helfen? Soweit es im Rahmen des mir Möglichen ist, auf jeden Fall sofort und immer! Wobei es hier tatsächlich Mal passieren kann, dass ich mich selbst zu sehr unter Druck setze und meine eigenen Grenzen ignoriere. Das ist erst neulich passiert, als ich aus freien Stücken meinen Vater für eine Woche gepflegt habe.

    Ach … und einmal habe ich einen sehr guten Freund damit überrumpelt, dass ich zu heulen anfing, weil er offensichtlich mit seiner psychischen Krankheit kämpfte. Also wenn das nicht Empathie ist, dann weiß ich auch nicht weiter … auch wenn so etwas nur bei ganz, ganz wenigen Personen vorkommt.

    Also ganz klar; Ein Missverständnis.

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  2. > Ich habe schon oft beobachtet, dass meine Kinder ganz feine „Antennen“ haben, wenn es jemand aus dem direkten Umfeld nicht gut geht. Darauf reagieren sie selber mit Verunsicherung, wenn sie nicht greifen können warum.
    > Sie schwingen also mit.
    > Das heißt aber nicht, dass sie diesen Menschen nun mit Fragen überhäufen oder ihm körperliche Nähe „aufzwingen“.

    Das ist bei mir ganz genauso. Am schlimmsten ist dann, wenn ich nachfrage was los ist, und als Antwort ein „Nichts“ bekomme. Weil es ja ganz offensichtlich nicht stimmt. Ich weiß dann für mich nie, ob ich mich an das „nichts“ halten soll und versuchen so zu tun als ob nichts wäre, oder an das Verhalten und versuchen, das Problem zu lösen. Solche Situationen machen mich sehr nervös und angespannt und das verschwindet oft für längere Zeit nicht wieder.
    Noch „schöner“ wird es dann nur noch manche Reaktionen auf meine Verunsicherung. Ein Expartner hat es geschafft, mir jedes Mal mein Verhalten vorzuwerfen, egal wie ich reagiert habe. Habe ich versucht zu helfen, schrie er mich an „Ich sagte doch, es ist nichts, mach kein Drama und lass mich in Ruhe!“ – wenn ich ihn jedoch in Ruhe ließ, kam ein gekränktes „Du hast doch gesehen, dass es mir schlecht ging, hättest du dich mal um mich gekümmert! In einer Beziehung ignoriert man sowas doch nicht!“

    Keine meiner Reaktionen lag an mangelnder Empathie. Ich nehme fast immer wahr, wie es anderen geht. Die Erwartungen, die andere an mein Verhalten haben, sind jedoch so undurchsichtig und bei jeder Person anders, dass ich mich sehr oft nicht traue, sichtbar zu reagieren.

    Gefällt 2 Personen

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